In der Schweiz ist in Sachen Service public Abbau angesagt: 400 Poststellen stehen vor der Schliessung – oder sie werden zu einer Agentur ohne Zahlungsverkehr heruntergestuft. Auch die wichtigste Dienstleistung, die Postzustellung, ist gefährdet: In vier Gemeinden testet die Post, ob man den Privatkunden die Briefe künftig erst am Nachmittag zustellen soll. Der neue Post-Chef Michel Kunz lässt zurzeit Szenarien durchrechnen, die 600 Briefträger die Stelle kosten können (siehe unten). Und bereits jetzt werden in einzelnen Quartieren die gelben Briefkästen morgens um acht Uhr geleert. Was später eingeworfen wird, bleibt liegen. Die A-Post wird so zur Farce, der Preis bleibt.
«Im Ausland können wir uns auf lukrative Märkte konzentrieren»
Abbau in der Schweiz, Wachstum dagegen im Ausland. So hofft die Post, in Zukunft noch mehr Geld zu verdienen. «Im Ausland können wir uns auf sehr lukrative Märkte konzentrieren, weil wir dort keinen Service public leisten müssen», sagte Verwaltungsratspräsident Claude Béglé letzten Monat. Am Tag darauf gab die Post bekannt, dass sie im Grossraum Turin das Transportunternehmen Constanzia übernimmt. «Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart», heisst es wie so oft bei Zukäufen im Ausland.
Zum Beispiel im Juni bei der Übernahme eines dänischen Briefpostverarbeiters. Und letztes Jahr beim Kauf eines deutschen Spezialisten für den Versand von Zeitschriften oder bei der Übernahme eines schwedischen Briefpostverarbeiters. So hat sich die Post in den vergangenen Jahren unentwegt ausländische Firmen einverleibt.
Der grösste Brocken war 2006 die deutsche GHP-Gruppe aus Bamberg, ein Spezialist für Werbemailings und Kundenbindungsprogramme mit 2800 Beschäftigten. GHP erfasst zum Beispiel für die Deutsche Bahn die Kartenanträge für die Bahncard, produziert die Karten und schickt sie den Kunden zu. Kurz zuvor schluckte die Post Forrest Solutions in New York, ein Unternehmen mit 1120 Mitarbeitern. Es verwaltet interne Firmenpost, archiviert Dokumente, archiviert und koordiniert Werbeversände.
Auch die 2008 übernommene Global Business Services Plus mit Sitz in Paris mit über 1000 Mitarbeitern digitalisiert und verarbeitet Dokumente, zum Beispiel Checks für Banken in Frankreich, Deutschland und der Slowakei.
Mittlerweile insgesamt über 6'000 Mitarbeiter im Ausland
Seit 2004 fahren auch die Postautos auf Auslandskurs, als die Post die Ausschreibung fürs Busnetz im französischen Dole gewann. Dieses Jahr kamen Aufträge in den französischen Städten Montpellier und Béziers dazu. Postauto-Chef Daniel Landolf erwägt weitere Übernahmen in Italien und Deutschland. Die Schweizer Post ist mit einem Sammelsurium von rund 70 Tochtergesellschaften in 20 Ländern aktiv, in Westeuropa ebenso wie in China, Indien, Singapur, Malaysia und den USA. Seit Anfang 2004 hat sich die Zahl der Beschäftigten im Ausland mehr als verzehnfacht.
Damals waren es auf Vollzeit umgerechnet 553 Beschäftigte, bis Ende 2008 stieg diese Zahl auf 6276 der insgesamt 44178 Stellen. Wie viele Millionen Franken in den letzten Jahren für Firmenkäufe ins Ausland flossen, will Post-Sprecher Mariano Masserini nicht sagen. Die Geheimniskrämerei ärgert das Schweizer Personal, wie Fritz Gurtner von der Gewerkschaft Kommunikation sagt: «Der Aufbau des Geschäfts im Ausland ist undurchsichtig.» Die Auslandgesellschaften kommen dem Gewerkschafter ein bisschen vor «wie Wundertüten».
Post verweist auf den Auftrag des Bundes
Die Post beruft sich auf den Bundesrat. Dieser verlange, dass die Anbindung der Schweiz an die Welt sichergestellt sei und dass sie in ausländischen Nischenmärkten wachse. Sie dürfte für diese Investitionen allerdings keine Gewinne aus dem Monopolbereich einsetzen – also aus der Beförderung von Briefen bis 100 Gramm. Vergangenes Jahr stammten vom ausgewiesenen Konzerngewinn von 825 Millionen Franken offiziell 260 Millionen aus dem Monopol. Marc Furrer, Leiter der Postregulierungsbehörde, sagt, bisher habe er «keinen Anhaltspunkt für eine Quersubventionierung gefunden». Er gehe davon aus, dass gewisse Postgeschäfte im Ausland «durchaus lukrativ» seien, und fragt sich: «Warum also sollte die Post darauf verzichten, sich im Ausland die Rosinen herauszupicken – genauso wie es die französische, die deutsche oder die holländische Post bei uns tun?»
Im Ausland liegt die Gewinnmarge viel tiefer als in der Schweiz
Rosinenpickerei? Im Ausland erwirtschaftete die Post 2008 zwar einen ansehnlichen Betriebsertrag von 1,6 Milliarden Franken. Nach Abzug der Kosten blieb davon aber kaum etwas übrig. Das Betriebsergebnis von 32,7 Millionen Franken entspricht einer operativen Marge von 2 Prozent. Damit werfen die Auslandaktivitäten fünfmal weniger Profit ab als das Schweizer Geschäft, wo die Marge bei 11 Prozent liegt. Zur Frage, welche Auslandsgesellschaften rote Zahlen schreiben, schweigt Post-Sprecher Masserini einmal mehr.
Würden die Margen im Ausland wenigstens steigen, gäbe es Hoffnung, dass das Geschäft dort mit der Zeit auf Touren kommt. Doch die Marge sank markant gegenüber dem Vorjahr, als sie deutlich über 3 Prozent lag. Die Entwicklung der Wechselkurse mag ein Grund dafür sein, doch ist das ein schwacher Trost, zumal der Rückgang anhält. Im ersten Halbjahr 2009 rutschte der stark aufs Ausland ausgerichtete Bereich «Strategische Kunden und Lösungen» sogar in die roten Zahlen und schrieb einen Verlust von 10 Millionen Franken (Vorjahr: plus 8 Millionen). So entpuppt sich der verheissungsvolle Vorstoss in die «sehr lukrativen Märkte» als knapp profitabel.
Millionenverluste bei Tochtergesellschaften im Inland
Bei Firmenkäufen im Inland, die den Service public nicht tangieren, musste sich die Post gar beträchtliche Beträge ans Bein streichen: So bei der Schweizer Tochter Document-Services. In dieses Geschäft stieg die Post ein, nachdem sie 2004 eine frühere Abteilung des Zürcher Finanzdatenverarbeiters Telekurs gekauft hatte, die aus elektronischen Daten hergestellte Dokumente erstellt, druckt und versendet. Beständig baute die Post diesen Geschäftszweig weiter aus. Sie schluckt Unternehmen wie etwa 2006 die Print Services der Swisscom. Im folgenden Jahr war sie zu einem Abschreiber von 20 Millionen gezwungen.
Warum nur kurbelt die Post das inländische Geschäft nicht mit besserem Service und tieferen Preisen an, statt die Gewinne im Ausland zu versenken? Sprecher Mariano Masserini sagt, das Unternehmen müsse Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten im Ausland suchen, da der interne Markt gesättigt sei: «Unsere Präsenz im Ausland schützt und stützt unsere Position im Heimmarkt.»
Die Zahlen widersprechen dieser Aussage. Gewerkschafter Fritz Gurtner bringt es auf den Punkt: «Ich finde es stossend, dass die Post das Geld, das sie in der Schweiz erwirtschaftet, in Auslandsabenteuer mit zweifelhaften Erfolgsaussichten steckt.»
Von der Post Seit 2004 gekaufte Firmen 2004:
- BTL Logistics, Muri BE, Spedition
- Porta a Porta SpA, Italien, Gütertransport
- Räber Information Management, Immensee SZ, Internetsite-Betreiber (Search.ch)
- Servizi Distribuzione e Logistica, Italien, Gütertransport
- Société d’Affrètement et de Transit, Frankreich, Gütertransport
- Telekurs-Document Services, Wallisellen ZH, Dokumentenmanagement 2005:
- Liechtensteinische Post AG (Anteil)
- Swiss Sign AG, Zürich, Verschlüsselungstechnologie 2006:
- Euro Postal Services, Frankreich, Firmenpostverarbeiter
- Forrest Solutions, USA, Firmenpostverarbeiter
- GHP-Gruppe, Deutschland (Mehrheit), Direktmarketing
- MDS Media Data Services, Kriens LU, Verlagsmanagement
- Mobile Imaging, Gottlieben TG, Onlinepostkartenanbieter
- One Reason AG, Kloten ZH, Dokumentenverarbeiter
- Swiss Post International, Singapur (restliche Anteile)
- Swisscom Print Services, Bern, Druckzentrum 2007:
- FM Verzollungs AG, Basel
- GHP Holding, Fortuna Beteiligungen, Client Vela, Deutschland (restliche GHP-Anteile)
- Nachtverarbeiter Highnes, Zug
- Nachtverarbeiter Postlogistics Innight, Oftringen (restliche Anteile) 2008:
- Anza Security, Grenchen SO, Werttransporte
- Fleetconsulting, Zürich, Fahrzeugflotten
- GBS+, Frankreich, Dokumentendigitalisierer
- GHP Direct, Frankreich (restliche Anteile)
- Global Press Distribution, Deutschland, Zeitschriftenversender
- Graphic Data, Grossbritannien, Dokumentendigitalisierer
- IMS Europe, Schweden, Briefpost
- Presse-Vertriebs AG, Basel, Zeitungsfrühzusteller
- Swiss Post International Malaysia (restliche Anteile) 2009:
- SPI Denmark, Dänemark, Briefpost
- Logistiker Constanzia, Italien, Gütertransport
Briefpost: Höhere Preise für weniger Service
«Die Schweizer Post muss in der Briefzustellung sparen», schrieb die «Sonntagszeitung» Ende Juli. Sie übernahm eine Behauptung der Post, wonach der Briefverkehr gegenüber dem Vorjahr um 5 Prozent «eingebrochen» sei. Deshalb plane die Post, bis Ende Jahr 500 bis 600 Briefträger abzubauen. Doch neuste Zahlen zeigen: Die Post machte im ersten Halbjahr 2009 beim Briefverkehr 127 Millionen Franken Gewinn, ein Jahr zuvor waren es im gleichen Zeitraum 134 Millionen – offensichtlich kein Grund, um Leute zu entlassen.
Der möglicherweise krisenbedingte Rückgang im Briefverkehr, zu dem auch Zeitungen und Zeitschriften gehören, wäre weit weniger gross, wenn die Post nicht den Versand von höheren Auflagen durch Portozuschläge von 100 Prozent und mehr bekämpfen würde. Das heisst: Statt Rabatt für höhere Auflagen gibts für die Verleger Zuschläge. Die Post ist für den Rückgang der Sendungen also zum Teil mitverantwortlich. Kommt dazu: Letzte Woche hat die Post den Verlegern die Verträge gekündigt. Sie will fürs Jahr 2010 Portozuschläge von über 15 Prozent durchsetzen. Das zuständige Departement und der Preisüberwacher haben sich dazu noch nicht geäussert.
Die letzte Portoerhöhung für die Verlage ist erst zwei Jahre alt. Damals betrug sie beispielsweise für saldo gegen 140 Prozent. Der Verlag hat den Aufschlag angefochten. Der Fall liegt gegenwärtig beim Bundesgericht. Die Post sagt, die Zeitungsrechnung sei defizitär. Deshalb erstaunt es, dass sie 2008 die Frühzustellung im Einzugsgebiet der «Basler Zeitung» übernahm. Bald darauf kam sie mit NZZ und «Tages-Anzeiger» überein, auch deren Frühzustellung zu kaufen. Drohen nun weitere Defizite? Post-Sprecher Mariano Masserini verneint: «Die Frühzustellung der Verlage basiert auf günstigeren Kostenstrukturen; die Preise liegen über denjenigen der Postzustellung.» ...zur Abstimmung ...zur Diskussion